Wasserburger Zeitung – Corona hat Frauen zurückgeworfen

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Marie Theres Relin (Dritte von links) geht 2021 mit der Komödie „Ungeheuer heißt“ auf Tournee. Die Spielfreude ist (von links) Sebastian Waldemer, David Daria, Markus Majowski, Franziska Traub und Kerstin Fernström anzusehen.
von Heike Duczek

Wasserburg – Abgebrochene Theatertournee, abgesagte Festivaltermine, Auftrittsverbote: Als Schauspielerin und Autorin sowie Solo-Selbstständige ist die Wasserburgerin Marie Theres Relin vom verschärften und verlängerten Lockdown stark betroffen. Doch sie lässt sich nicht unterkriegen und plant tapfer weiter für das neue Jahr. Dabei spielt die Zahlenreihe „95-75-55“ eine große Rolle. Ihre Body-Maße sind es übrigens nicht.

Frau Relin, aus Teneriffa, ihrer zweiten Heimat nach Wasserburg, haben Sie uns ein Mail geschrieben, in dem Sie uns neugierig gemacht haben mit dem Verweis auf „95-75-55“. Was steckt dahinter?

Die 95 steht für den 95. Geburtstag meiner Mutter Maria Schell am 15. Januar. Im vergangenen Jahr ist die Tatsache, dass sie lange in Wasserburg gelebt hat, ja ausgiebig gefeiert worden – mit der Einweihung der ersten deutschen Maria-Schell-Straße in Reitmehring und einer großen Retrospektive. Die 75 steht für den 75. Geburtstag meines Ex-Mannes, des Autors, Schauspielers und Regisseurs Franz Xaver Kroetz, am 25. Februar. Er schenkt sich selbst zum Geburtstag einen Gedichtband, auf den ich schon sehr gespannt bin. 55: Das bin ich selber, ich dackel mit diesem Geburtstag im Juni hinterher und hoffe, dass ich ihn mit Familie und Freunden feiern kann. Es ist also ein Jahr voller Jubiläen, auf die ich mich sehr freue und die 2021 Gestalt geben. Außerdem: Ich mag diese Zahlen lieber als die Zahlen, die uns 2020 und auch jetzt in 2021 nerven: die Corona-Fallzahlen.

Zwei Zahlen spielen auch in ihrem neuen Buch eine große Rolle. „49:43 – ein Plädoyer gegen uns Frauen“. Was bedeuten die Ziffern? Und warum schreibt eine Frau gegen die Frau?

Grundlage und Inspiration für mein neues Buch ist ein Interview mit Simon de Beauvoir, Autorin von „Das andere Geschlecht“. In den 70er Jahren hat sie ein viel beachtetes Interview gegeben, das 49 Minuten und 43 Sekunden lang ist. In meinem Buch nehme ich die Aussagen auf, interpretiere sie auf meine Weise, schlage die Brücke zum Heute und Jetzt. Wie hat sich die Gleichberechtigung von Mann und Frau in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Wo steht der Feminismus heute? Es ist kein wissenschaftliches Buch, eher eine Art Zwischenruf. Missstände, die noch heute auftreten, werden humorvoll, frech und schnell thematisiert. Es ist keine Abhandlung zum Feminismus, sondern meine subjektive Sicht zur Frage, ob sich was geändert hat und wo es noch heute hakt.

Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis?

Vor 20 Jahren habe ich die Hausfrauenrevolution ins Leben gerufen. Sie fordert bis heute mehr Anerkennung für den Beruf der Familienmanagerin. Doch es hat sich wenig geändert. Immer noch haben Frauen, die sich bewusst für Kindererziehung und Haushaltsführung als Beruf entscheiden, kaum Rente im Alter. Wahnsinn. Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel für den Stillstand nennen. In den 70er Jahren hatten wir die Diskussion um das Recht auf Abtreibung. Schau heute nach Polen oder Argentinien: Dort wird dieses Recht wieder ausgehebelt. Anderes Beispiel: Frauen gehen in Saudi Arabien in den Knast, wenn sie sich fürs Auto fahren bzw. Frau am Steuer einsetzen, in China ins Gefängnis, wenn sie über Corona bloggen. Bei uns verdienen Frauen bis heute weniger als Männer in den gleichen Berufen. Die Pandemie müssen ebenfalls vor allem die Frauen ausbaden – mit der Doppel-, ja Dreifachbelastung von Homeoffice, Homeschooling und Haushaltsführung. Corona hat viele Frauen zurück in die 60er Jahre geworfen.

Eine weitere wichtige Zahlenkombi: 3.2.2021: Das neue Jahr beginnt für Sie am 3. Februar mit einem großen Fernsehauftritt – im Auftakt für die zweite Staffel „Watzmann ermittelt“ in der ARD (18.50 Uhr). Waren es Dreharbeiten unter Corona-Auflagen?

Nein, wir haben noch 2019 gedreht. Meine Folge war eigentlich auf Platz neun der neuen Staffel eingeplant. Doch sie wurde vorgezogen. Das Drehbuch ist außerordentlich gut. Als ich es gelesen habe, dachte ich nur: Wow!

Und welche Rolle spielen Sie?

Eine Berchtesgadener Wirtin, deren Gatte umgebracht wird. Mehr darf ich nicht verraten.

Noch eine wichtige Zahl: 18. Sie planen trotz der Tatsache, dass die Auswirkungen der Pandemie für die nächsten Monate noch offen sind, voller Optimismus für das Jahr 2021 eine Fortsetzung Ihres Kino-Festivals „Region 18?“ Kommen auch wieder die Stars aufs Land?

Mein Wunsch ist es, wenn möglich, dass wir uns mit weiteren Vorstellungen des Festivals „Region 18“ in eine Corona-Lücke im Frühjahr/Sommer reinbatzen. Ich denke, wenn wir warten, bis die Pandemie ganz vorbei ist, vergeht zu viel Zeit. Ich habe tolle Promis gefunden, die mir schon zugesagt haben: unter anderem Schauspieler Robert Atzorn, Schauspielerin Monika Baumgartner und Talker sowie Autor Hubertus Meyer-Burckhardt. Im April soll es die ersten Veranstaltungen des Baukastenfilmfests in der Region 18 geben – Matinees und Lesungen in Festival-Kinos auch in Wassserburg, die die Filmpaläste als kulturellen Ort wiederbeleben und Leute ins Kino locken. Noch suche ich Sponsoren, die uns vor Ort unterstützen.

Wie geht es weiter mit dem Theater spielen? Bekommen wir „Ungeheuer heiß“, eine Komödie mit Ihnen in einer Hauptrolle, die im Sommer in Düsseldorf sehr erfolgreich lief, auch in Oberbayern zu sehen?

Im Juni/Juli spielen wir in Essen, zeitgleich findet im Düsseldorfer Filmmuseum eine Geschwister-Schell-Retro statt. Im September/Oktober spiele ich durchgehend in der Komödie im Bayerischen Hof, im November geht es mit dem Boulevard-Hit „Ungeheuer heiß“ auf Tournee.

Nicht jammern, sondern nach vorne schauen: Das ist Ihr Motto als Künstlerin. Hand aufs Herz: Ist Ihnen nicht oft eher nach Jammern zumute?

Ich lebe seit Monaten vom Ersparten. Staatliche Hilfen kommen bei mir aus verschiedenen Gründen nicht an, ich fliege durch alle Raster. Das ist heftig. 2021 war ich acht Monate in Theaterengagements, nur 1,5 Monate durfte ich arbeiten. Doch ich stecke den Kopf nicht in den Sand. Was mir hilft: planen. Wer nicht träumt, stirbt, heißt es schließlich mit Recht.

Unverständlich sind in der Tat für mich viele Corona-Maßnahmen. Ich halte mich persönlich an alle Regeln, doch ich kann nicht verstehen, dass sich vor den Regalen im Supermarkt viele Menschen versammeln dürfen, vor den Vitrinen im Museum nicht einmal einige wenige. Es ist mir unerklärlich, dass in einem Touristenflieger Passagiere eng an eng sitzen dürfen, ein Theater aber Besucher nicht reinlassen darf, obwohl sie mit 1,5 Metern Abstand in einem Raum mit Belüftungsanlagen Platz nehmen. Warum wird die Kultur so an die Wand gefahren? Nachweislich hat sich noch niemand im Theater oder im Kino angesteckt. Es gibt Länder wie Portugal und Spanien, da geht der Kulturbetrieb unter Auflagen weiter. Wir brauchen die Kultur, das Liveerlebnis mit anderen Menschen, die Emotionen. Einen Film im Kino anzuschauen, ist doch was ganz anderes, als ihn am PC zu streamen.

© Heile Duczek, erschienen OVB – Wasserburger Zeitung am 14.01.2021 – mit freundlicher Genehmigung


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