Deutschlands erste Maria-Schell-Straße

Erschienen in der TZ München (28.05.2018): Ulrike Schmidt bezieht sich auf die Nachricht aus Wasserburg am Inn und den Text aus meinem Buch „Meine Schells – Eine Familie gesucht und mich gefunden“:

[…] Pass mal auf, ich lese dir jetzt einen öffentlichen Brief an meine Mutter vor, den ich (am 30.01.2007) anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Maria Schell“ im Deutschen Filmmuseum Frankfurt für eine Zeitschrift geschrieben hab. Ich gebe zu, er ist ein wenig sentimental angehaucht. Aber es gehört zu meiner Suche, dass ich meinen eigenen Schmarrn immer wieder lese, bis ich davon los komme. Außerdem kann ich mich so mit meiner Mama unterhalten und nicht nur mit dir.

Liebe Mami,

wenn in einem Leben große Einschnitte stattfinden, wandelt man gerne auf den Spuren der Vergangenheit. Zwei Tage vor meiner Scheidung – Du hast richtig gelesen, ich bin von Deinem Schwiegerfreund (Franz Xaver Kroetz), wie Du ihn gerne nanntest, geschieden. „Wenn’s den Franzl zweimal geben tät, dann würd’ ich einen davon heiraten“, hast Du immer gesagt. Jetzt wäre er für Dich frei. – Jedenfalls habe ich Dich zwei Tage vor meiner Scheidung unbewusst gesucht: Ich saß mit Josephine im Auto, wir fuhren durch meinen Heimatort. Ich bog spontan in Richtung Heberthal ab. Vor dem verschlossen Tor zu meinem Elternhaus blieben wir stehen. Josephine stieg entschlossen aus und klingelte: „Guten Tag, ich bin die Enkeltochter von Maria Schell und hätte gerne das Haus meiner Oma und Mama gesehen. Wenigstens von außen. Bitte.“ Pause. Es war kalt, es regnete und der Scheibenwischer tanzte vor meinen Augen. 16 Jahre war ich nicht mehr hier gewesen. Josephine hielt den Daumen hoch.

„Wir dürfen, Mama!“ Gespannt saßen wir im Auto und starrten auf das Tor, dessen Flügel sich in Zeitlupe, wie von Geisterhand – vielleicht auch von Deiner Hand – öffneten. Beim Anblick der kleinen kurvigen Straße zu unserem ehemaligen Garten schossen mir Erinnerungen durch den Kopf und die Tränen in die Augen. Mein Atem stockte, als wir den Berg hinunterfuhren. Heimat spüren, heimkommen. Es ist alles so, wie es einmal war, Mami! Gut, ein wenig gepflegter als damals bei uns. Der Garten samt Blick auf den Inn, unverändert. Ich sah sofort meinen Vater in Badehose, wie er mit hektischer Leidenschaft den Hubschrauber des damaligen Außenminister, Hans Dietrich Genscher herunter winkte. Er kam öfter zum Mittagessen und ich hasste diese Events, denn der Wind bei der Landung köpfte immer sämtliche Rosen in unserem Garten. Nackte Stängel zierten dann das Beet und das bloß wegen eines Lunchs.

Der Malachit-Fußboden in der Eingangshalle, unglaublich! Als Kind hatte ich den Edelstein unter den Füßen, heute trage ich so etwas um den Hals.

Der Teppichboden im Wohnzimmer ist neu und die legendären Zigarettenlöcher des damals depressiven Montgomery Clift sind somit verschwunden. Du wolltest das nie reparieren lassen.

Es war ja schon ein Hollywood-Haus mitten in Oberbayern und passte eigentlich gar nicht zu Dir, aber dafür zu Deinen Gästen. Zum Beispiel Elizabeth Taylor und Richard Burton, an die ich mich nur dunkel erinnern kann. „Elisabeth ist lieb, aber untreu. Doch ganz da, wenn sie da ist.“ Ich kann mich nur dunkel an die beiden erinnern. Außerdem verwechselte ich in meinem kindlichen Hirn immer Richard Burton mit Marlon Brando. Erst, als Du mit Brando die Eltern von „Superman“ spieltest, merkte ich mir den Unterschied zwischen den beiden großen Darstellern.

Die Küche ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Da stand das Telefon, an das ich hechtete, wenn es klingelte. „Here Placido Domigo.“ Oder Glenn Ford. Der mich nervte, weil er so oft anrief. Du hast ihn nie wirklich erhört, ihm dafür aber einen Dackel geschenkt, den er abgöttisch liebte. Bei Glenns Scheidung wollte die Ehefrau den Dackel behalten. Der Gute drohte an gebrochenem Herzens zu sterben und Du hast einen Brief an das Gericht geschrieben: „Sehr geehrter Herr Richter, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass der Dackel Bismarck nach wie vor mein Eigentum ist. Ich habe ihn lediglich Herrn Glenn Ford zur Pflege übergeben.“ Glenn behielt den Dackel und somit ein Stück Maria. Ich kann mich nur an unsere Besuche in seinem Haus in Los Angeles erinnern: Kunstrasen und Edeltische mit Kerzenschein am helllichten Tag, eine perverse Mischung für meinen kindlichen Geschmack.

Das war mein Kinderzimmer, hier im Keller. Bilder im Kopf. Ich sehe wieder die Pralinen von David Bowie vor mir, die Du von den Dreharbeiten für uns mitgebracht hast. Für mich, den absoluten Bowie-Fan, ein Heiligtum. So was kann man nicht essen, niemals! Ich weiß nicht, wie viele Jahre sie vor sich hin schimmelten, bevor sie dem Hund zum Opfer fielen.

Bowie lernte ich mit 16 Jahren in Paris kennen. Diese Augen! I can’t forget!

Apropos Paris: Kannst Du Dich erinnern, wie wir um 5 Uhr morgens auf dem Friedhof Deine Filmtochter Romy Schneider umgebettet haben? Journalisten hatten ihr Grab aufgebrochen, um die Leiche zu fotografieren! Der kleine Friedhof in der französischen Provinz. Detektive als Wache. Keine Presse. Nur Du, ich und Laurent Petain, ihr letzter Lebensgefährte. Viel Nebel. Die Grabplatte war zerstört und weggerückt. Der Sarg mit einer verwelkten Rose wurde aus der Grube geholt und ein paar Gräber weiter zum Sohn umgebettet. Du warfst den Ring, den Papi Dir zu meiner Geburt geschenkt hatte, zum Abschied ins offene Grab. Romy hin, Romy her, das habe ich Dir nur schwer verziehen! Aber Du warst eben so. Liebe war Dein Sammelbegriff für alles.

„Ich war nie aus Leichtsinn untreu, sondern weil mein Herz nicht jahrelang leer an Liebe existieren konnte.“ Eben. Wenn ich heute in die Augen Deiner Enkeltöchter Magdalena und Josephine schaue, dann sehe ich auch Dich. Als junge Schauspielerin mit Schmollmund im „Steinbruch“. Magdalena hat sehr viel von Dir, ist sozusagen „Oma pur“ in ihrer ganzen Art. Josephine tanzt mit der gleichen Passion wie Du in den „Gebrüdern Karamasow“ und weckt dabei genauso gekonnt die Leidenschaft der Männer. Allerdings noch keine vom Kaliber eines Yul Brynner.

Ob meine Mädels es auch mal schaffen werden, eine Marilyn Monroe von heute auszustechen und ihr die Rolle wegzuschnappen? You never know.

„Man hat mir immer wieder die Frage gestellt, warum ich Schauspielerin geworden bin. Meine Antwort lautete: Mehr Leben zu haben als nur das eigene.“

Karl Valentin sagte, es gäbe nur zwei Leben nach dem Tod: im Himmel und im Film.

„Hallo Mama, bist Du noch da?“, weckt mich meine Tochter aus meinem Gedanken-Sammelsurium. Die Zeit ist stehen geblieben in meinem Heimathaus. Marsch, zurück ins Hier und Jetzt!

Sei umarmt, im Jenseits, wem die Stunde schlägt!

Deine

Marie Theres

[…]

© Marie Theres Kroetz Relin 2018, erschienen im LangenMüller Verlag

@ Frederic de La Fosse, Sygma 1986 in Heberthal