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TZ & Münchner Merkur - LEBENSFARBEN
Marie Theres Kroetz Relin über ihren Onkel Maximilian Schell anlässlich seines 80. Geburtstag am 8.12.2010


„Nimm dieses Stöckchen und versuche, es zu brechen. Ich nahm und brach es. Nun drückte mir meine Mutter viele Holzstöckchen in die Hand und sagte: Nun versuche, diese vielen zu brechen. Ich tat mich schwer. Siehst du, sagte meine Mutter zu mir, das ist Familie.“
Diese Geschichte meiner Großmutter erzählte er am Grab meiner Mutter. An diesem Tag fing ich an, meine Familie zu suchen, und habe mich dabei gefunden.* Es begann an seinem 75. Geburtstag. Ich ließ ein „Buch um die Welt“ gehen, von einem Familienmitglied zum nächsten, damit ihm jeder seine persönlichen Glückwünsche übermitteln konnte. Die erste handschriftliche Familiensammlung wuchs auf 80 Seiten an. Auf meiner unendlichen Suche nach meinen Ahnen und der Familie spielte er natürlich eine Hauptrolle. Nicht zuletzt, weil er mein Lieblingsonkel war. Es war immer ein „besonderer“ Tag, wenn er zu Besuch kam oder wir ihn besuchten. Schon allein deshalb, weil uns meine Mutter mit ihrer innigen Liebe und Verehrung zu ihrem Bruder – sie zerfloss geradezu vor lauter Hingabe – das ständig suggerierte. Zugegeben, er war und ist ein attraktives Mannsbild mit seinen schwarzen ausdrucksvollen Augen, seiner runden warmen Stimme, die durchaus auch mal beben kann, seiner erzählerischen Kraft, seinem Duft von Weltruhm, seiner Poesie und Kreativität, seiner Herzlichkeit und seiner almerischen Einfachheit. Ich glaube, jede Frau hätte gerne so ein Exemplar für sich daheim, wenn man ihn exklusiv haben könnte. Aber: „Einer Frau treu zu sein, ist eine Unverschämtheit allen anderen Frauen gegenüber.“ Auch das ist er. Als junges Mädchen sagte er zu mir: „Wenn du groß bist, werde ich beim Papst eine Genehmigung einreichen, damit ich dich, meine Lieblingsnichte, heiraten kann.“ Das fand ich spannend. Ich wusste zwar nicht, warum er das mit einem Schmunzeln zu mir sagte (wahrscheinlich sagte er das auch zu seinen anderen Nichten?), aber in diesem mädchenhaften Alter, wo der kindliche Traummann dem Prinzen aus dem Märchen glich, erschien mir der Gedanke als durchaus akzeptable Alternative für die Zukunft. Ich liebte seinen Geruch, Fenjal, ein simpler Badezusatz, erhältlich in jedem Drogeriemarkt. Das war er für mich. Und heute noch, wenn ich in die Badewanne steige und den Duft inhaliere, werde ich umgehend in meine Kindheit gebeamt, und wie ein Falschengeist taucht er vor mir auf – Ups, aber bitte nicht gucken, ich bin gerade unbekleidet. Das muss man dazuschreiben, denn er ist ein Genussmensch, der jede weibliche Schönheit zu schätzen weiß. Ich liebte sein künstlerisches Chaos. Papiere, Zettel, Faxe von berühmten Persönlichkeiten, Farben, Bilder, Musik, Fotos, Teetasse, Frühstücksgeschirr, Manuskripte, Erinnerungen, verstaubter Oscar, Gemälde … und das Ganze nicht nur auf dem Tisch, sondern überall, selbst auf dem Boden verteilt. Kein Mensch kann sich in diesem Chaos zurechtfinden. Er schon. Genauso bunt wie seine Arbeits- und Lebensatmosphäre sind auch seine Erzählungen – inklusive dem Chaos. Man stellt ihm eine Frage und nach zirka zwei Stunden Umweg über die verrücktesten Anekdoten, Zitate, über Schauspielkunst, Erinnerungen, Geschichten – die man teilweise schon öfters dargeboten bekommen hatte – erhält man die Antwort auf die Frage, die man mittlerweile längst vergessen hatte. Andächtig wirkt er, wenn wer sich Walderdbeeren und Eierschwammerln widmet. In solchen Momenten ist das Kunstgeschehen Meilen entfernt, da pocht nur noch die Alm in seinem Herzen. Aber bitte weder Knoblauch verwenden noch ausdünsten – das ist eine Grundvoraussetzung, damit die Kommunikation mit ihm auch stattfinden kann. Er bekommt ein ganz mildes Lächeln, wenn man durch eine Äußerung oder Geste das Kind seiner Seele berührt. Ganz still. Aber wenn man seinen Unmut weckt, sollte man sich auf ein verbales Gewitter gefasst machen, das selbst Fensterscheiben erzittern lässt. Er ist eben ein Schauspieler und die Bühne ist sein Leben. Und etwas jähzornig ist er auch. Die Macht der Worte weiß er darzustellen, im Guten wie auch Bösen. Durch ihn habe ich die klassische Musik lieben und vergleichen gelernt und die Liebe zur Malerei entdeckt – zu den großen Malern, die „einfach so“ die Wände seines Hauses zierten. Echte Gemälde von Picasso bis Josef Albers. Einfach so. Bei ihm saß ich auf dem Sofa neben Friedrich Dürrenmatt bis hin zu Mick Jagger. Auch einfach so. Das war normal, das Außergewöhnliche, in meinem kindlichen Alltag. Und er schenkte mir Autographen großer Persönlichkeiten wie von Arthur Schnitzler, Richard Strauß, Verdi, Kaiserin Marie Theresia, Hermann Hesse … Er weckte in mir dadurch eine Leidenschaft: Momente zu sammeln! Nicht nur die mit berühmten Personen, viel mehr mit meinen geliebten Menschen. Jedes Zettelchen hat seine Bedeutung. Schlussendlich gleicht mein heutiges Arbeitszimmer mittlerweile ganz dem seinen, nur ist es mit etwas mehr weiblicher Fürsorge gepflegt. Er ist mitverantwortlich für den Samen Poesie gepaart mit Liebe, den ich durch mein ganzes Leben trug. Als meine Tante Immy einen wichtigen Geburtstag feierte, schenkte er ihr eine Dose mit Eis. Sonst nichts. Nein, kein Eis zum Lutschen, stinknormales Eis, gefrorenes Wasser sozusagen. Es dauerte ewig, bis das Geschenk sich verflüssigte und ein Autoschlüssel zum Vorschein kam. Das Auto blieb mir nicht in Erinnerung, aber die Geste und das gemeinsame Warten. Unvergesslich. Manchmal bedauere ich es, dass wir uns viel zu wenig sehen. Es begegnen einem im Laufe eines Lebens wenige Menschen, die einem wichtig sind und geistige Wegbereiter waren. Man sollte sich viel mehr Zeit füreinander nehmen. Dabei ist es unwichtig, ob es sich um einen Weltstar oder einen Almöhi handelt.
Ob ich an seinem Geburtstag bei ihm sein kann, weiß ich noch nicht. Aber mein Geschenk wird ihn erreichen. "Happy Birthday, geliebter Maximilian. Statt Blumen schenk ich Dir Farben. Mal sie Dir, die Blumen! Sei umarmt von Deiner Nichte und Muse Marie Theres!"
Und meine Worte auch.



*Das Buch „Meine Schells – Eine Familie gesucht und mich gefunden“ erscheint im Frühjahr 2011 bei Herbig LangenMüller Verlag.



© Marie Theres Kroetz Relin 2010, erschienen in TZ München am 4.12.2010 und in Münchner Merkur am 6.12.2010
 
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