Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
FOCUS: Schwäche ist unsere Stärke
Ihr Parfum – Vent Verte, der grüne Wind – bedeutete für mich Abschied nehmen. Wenn meine Mutter wegfuhr, sie sich über mich beugte und ich meine Tränen kontrollierte. Ich habe es gehasst. Zugleich bedeutete es unendliche Freude. Wenn sie, meist nachts, wiederkam und ich es im Schlaf roch. Ich habe es geliebt. Seither hasse ich Abschiede, erlebe sie aber tagtäglich neu, gerade jetzt, wo ich meine Töchter ins Leben verabschieden muss.
Je älter ich werde, desto ähnlicher werde ich meiner Mutter. Wahrscheinlich lasse ich erst jetzt, in der Reife, die vielen Gemeinsamkeiten zu – in Augen, Mimik und Sein.
Unzählige kleine Gesten der Liebe: ihre unvergesslichen Geburtstage im Kerzenlicht, Zettelchen und Dran-Denkerle (eine ihrer Wortschöpfungen, welches ein Mitbringsel betitelte) – all das spie-gelt sich heute in meinen Kindern wider. Im Grunde ist meine Mutter ständig präsent, wiedergebo-ren im Erbe der Gene.
Die vier weiblichen Generationen, im Familiengedächtnis verankert von meiner Großmutter bis zu meinen Töchtern, haben unglaublich viel gemeinsam: die Kraft des weiblichen Bewusstseins. Alle-samt Powerfrauen, für die ein Stoppschild ein Fremdwort ist. Wenn meine Mutter eine Telefon-konferenz mit dem Papst, dem amerikanischen Präsidenten und Micky Maus einberufen hätte, sie hätte ihr Ziel erreicht, so utopisch es klingen mag.
Krallen mit Charme zeigen und, wenn’s sein muss, kämpfen wie eine Löwin.
Anderseits geprägt durch die Sehnsucht nach Hingabe und grenzenloser Liebe, bis hin zur dämlich-blöden Selbstaufgabe. Meine Großmutter hat’s vor-, ich nachgemacht, für einen Dichter und die Brut. Und dazwischen meine Mutter, die jeden Mann „in den Sternenmantel hüllte“ und mindes-tens zum Genie kürte. Inklusive meines Exgatten, den sie nicht Schwiegersohn, sondern Schwie-gerfreund nannte.
Schwäche ist unsere Stärke. Eine weibliche Diskrepanz, mit der es sich nicht einfach leben lässt. Kapitulieren und Kämpfen zugleich – emotionsreich, mit Herzensbildung. Das alles hab ich von ihr. Nur mit dem Unterschied, dass sie mit ihren Gefühlen die Seele eines Millionenpublikums strei-chelte.
Aber für mich bleibt sie meine Mama, die mir fehlt.


(Marie Theres Kroetz Relin über ihre Mutter Maria Schell )

© Marie Theres Kroetz Relin, August 2010 – erschienen in FOCUS am 20.9.2010 Heft 38/10
 
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