"Die Chancengleichheit fängt bei den Großmüttern an. Mütter sind das Zentrum der Welt, und wo Mütter versagen, versagt irgendwann auch die Gesellschaft. Woher nimmt ein Kind das erste Begreifen, eine Ordnung, in die es hineinwächst, - woher die erste Orientierung in diesem Wunderland Leben, woher das erste Vertrauen, daß es dazugehört und wie es dazugehört." ( Maria Schell – Kostbarkeit des Augenblicks, Seite 83)
„Sind Sie nicht die Tochter von...?“ werde ich am Flughafen, im Supermarkt oder sonst wo angesprochen. „Ja, die bin ich.“ gebe ich mit einem professionellen Lächeln retour. „Hab ich es mir doch gleich gedacht, dass Sie die Tochter sind! Das finde ich aber schön, dass ich Sie mal sehe. Wissen Sie, ich habe Ihre Mutter immer so verehrt. Die vielen Filme...“ sprudelt es aus der Frau heraus. „Das freut mich!“ antworte ich mit einem schon etwas strengeren Ton. „Ganz wie die Mama!“ beginnt die Frau wieder „Die gleichen Augen, die gleiche Stimme... und genauso nett wie die Frau Mama!“ und klopft mir liebevoll auf die Schulter. „Dankeschön!“ ich schlucke und will entfliehen. Das merkt die Dame. „Dann will ich nicht weiter stören. Liebe Grüße an die Frau Mama... von einer Verehrerin!“ meint sie schmunzelnd und ist im Begriff zu gehen. Sie dreht sich noch einmal kurz um fragt: „Ach, und wie heißen Sie gleich noch mal?“ Tja, ich war immer die Tochter von...- von einer guten Mama, aber eben einer Berühmten und vor allem einer Berufstätigen. Meine Mutter bekam mich erst im Alter von 40 Jahren. Und als Kind stellte ich mir immer vor, dass frau erst ab 40 Kinder bekommen kann. Der Beruf geht ja vor und das war für mich durchaus normal. Ich war immer stolz auf meine Mama, obwohl mich dieses Berühmtsein auch sehr belastete. Und das viele Abschiednehmen, denn meine Mutter war eben viel und teilweise monatelang unterwegs. Ich hasse bis auf den heutigen Tag Abschiede, gerade weil mir bewusst ist, dass sie einen ein ganzes Leben begleiten. Gut, dass meine Mama auch eine „Tochter von“ war und zwar von meiner Großmutter, genannt Omutti. Diese Frau war einfach unglaublich, so zusagen meine Mama Nr. 2. Von Omutti hab ich alles gelernt, was eine Hausfrau und Mutter so im Leben braucht. Und sie war für mich da, wann immer ich sie brauchte. Meine Großmutter hat mich also sehr geprägt und unterbewusst kopierte ich sie: Sie war verheiratet mit einem Dichter – ich bin es auch. Sie wurde ganz jung Mutter, hat vier Kindern das Leben geschenkt und ihre Schauspielkarriere dafür aufgegeben - mhm, kommt mir bekannt vor, nur hab ich nach dem dritten Kind gestreikt. Sie war eine hervorragende Köchin, liebende Mutter, Lebenskünstlerin mit viel Phantasie... und hat viele ihrer Begabungen nicht ausgelebt. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: Mit 21 wurde ich schwanger, da zu blöd zum Verhüten und das ausgerechnet von einem Dichter. Also nix erst mit 40... Mit 28 war ich dann auf dem Höhepunkt meiner neuen Karriere: „voll ausgebildete“, dreifache Mutter, insgesamt 27 Monate schwanger, 4 1/2 Jahre Milchlieferant, 6 Jahre schon im Dauereinsatz... Jetzt war ich also selbst eine „Mutter von“. Vor kurzem besuchte ich mit meiner Familie ein Musikfestival. Ich ging mit meiner großen Tochter Josephine ein Stück voraus und wir blieben vor einem Piercing- Stand stehen. „Willst Du ein Bonbon?“ baggerte der junge Verkäufer meine pubertierende Tochter an, während ich mich bemüht auf die Piercing- Ringe konzentrierte. „Danke“ sagte sie etwas verlegen. „Wie oft hab ich Dir schon gesagt, Du sollst keine Guttis von fremden Männern annehmen!“ lachte ich mit mütterlichem Unterton. Da drehte sich der Verkäufer zu mir, bot mir auch ein Bonbon an und hauchte an die Chance Nr. 2: „Aber wenn die Mama doch nicht dabei ist!“ Es war ein wunderbarer Anblick, als wir in Stereo dem suchenden Jüngling offenbarten, dass ich die Mama sei und somit seine Chancen sich in Null auflösten. Das nenn ich Chancengleichheit. Als er dann auch noch meine beiden anderen Kinder sah, war er fassungslos. Und wir waren schlicht und ergreifend nur stolz, Mutter wie Tochter. Es gibt also in einem Leben mehrere Varianten von „Mutter“. Sie erinnert an eine Begleitmelodie in einem Stummfilm: Bewegend, bestimmend, immer anwesend, mal melancholisch, mal heiter, mal tröstend, mal wütend, mal ängstlich... Muttersein bedeutet Erfüllung und Verzicht in einem. Und wenn ich auf eins in meinem Leben nicht verzichten möchte, dann ist es mein Adelstitel „von“.
© Marie Theres Kroetz Relin 2004 - Auszug aus "If pigs could fly - Die Hausfrauenrevolution" Piper Verlag
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